4. Entwurf einer virtuellen Persönlichkeit – Gordon Daniely

4. Entwurf einer virtuellen Persönlichkeit – Gordon Daniely

Die Inspiration für meinen praktischen Teil, der an meiner Schule als obligatorischer Teil meiner Jahresarbeit verlangt war, bekam ich durch meine Recherche für Twitter im dritten Kapitel meiner Jahresarbeit. Ich habe im dritten Kapitel schon die Aktion von Kevin Ashton geschildert, der eine virtuelle Person erschuf, die es „in real life“ gar nicht gab. Dazu erstellte er 2013 eine Webseite, einen Twitter-Account mit 90.000 Followern und einen Artikel in der englischsprachigen Wikipedia, der allerdings nach der Veröffentlichung seiner Story gelöscht wurde.

Im praktischen Teil wollte ich daher Kevin Ashtons Experiment nachstellen und eine glaubhaft erscheinende virtuelle Persönlichkeit erschaffen, weil ich glaubte, es sei nicht möglich, im heute in dieser Form vorhandenen Internet herausfinden zu können, ob eine Person überhaupt existent ist, wenn man sich nur die Online-Präsenz anschaut (oder ob nicht jemand völlig anderes dahinter steckt).

Um Glaubwürdigkeit zu erreichen war mein Hauptziel, einen Artikel in der Wikipedia über meine ausgedachte Persönlichkeit zu schreiben. Als Quellen dafür dienten dann die eigene Webseite und ein vielgefolgter Twitter-Account der Persönlichkeit.

Meine Vorgehensweise war nun wie folgt:

  • zuerst einen anonymen Wikipedia-Account nicht unter dem Namen meiner fiktiven Person zu erstellen und die Gepflogenheiten und den gegenseitigen Umgang auf Wikipedia herauszufinden

  • Dazu hatte ich schon einige Änderungen an bereits vorhandenen Artikeln auf Wikipedia vorgenommen, sowie einen neuen Artikel über ein Musikalbum komplett selbst geschrieben (andere Personen haben dann jedoch trotzdem Änderungen vorgenommen, die veröffentlichte Erstversion stammt aber von mir)

  • von einem Namensgenerator den Namen für meine fiktive virtuelle Persönlichkeit kreieren zu lassen: Gordon Daniely

  • auf Twitter einen Account unter Gordon Daniely anzulegen, ab und zu Tweets zu veröffentlichen und schon manuell Follower „einzusammeln“

  • ein Foto von mir zu machen und es etwas zu bearbeiten, damit Gordon Daniely mit diesem Bild etwas „lebhafter“ wirkt (dieses Bild ist auch auf dem Deckblatt dieser Arbeit zu sehen)

2015-09-25 18.05.06

  • das Foto als Profilbild bei fortan allen virtuellen Auftritten Gordon Danielys zu verwenden

  • mir bei WordPress einen Blog unter der Domain https://gordondaniely.wordpress.com/ anzulegen

  • dort meine Persönlichkeit zu definieren und als in der Öffentlichkeit stehend aussehen zu lassen. Dafür habe ich mir eine Beschäftigung als Slampoet und freier Schriftsteller überlegt und einige ausgedachte Beiträge, „Slams“ und Bilder hochgeladen

  • den Blog und den Twitter-Account gegenseitig zu verlinken, um das spätere Anwachsen des Twitter-Accounts durch die „Popularität“ meines Blogs plausibel erklären zu können

  • mir bei fiverr.com mit der Hilfe meines Vaters 7.550 Twitter-Follower für $5 zu kaufen. Diese Seite erlangte spätestens nach der Kontroverse um den Youtuber Pewdiepie dieses Jahr große Bekanntheit (damals, im Oktober 2015, war sie noch keinem so breiten Publikum bekannt). Nachfolgend zwei Screenshots vom Prozess des Followerkaufens, mit dem Profil des Anbieters „Alice_o“ unten rechts auf dem oberen Bild, sowie die Kaufbestätigung auf dem unteren Bild.

Screen Shot 2015-10-23 at 21.35.24Screen Shot 2015-10-23 at 21.33.52

  • bei Wikipedia einen Artikel über Gordon Daniely zu entwerfen und ihn rechtzeitig (7 Tage vor der Präsentation) zu veröffentlichen

  • auf Reaktionen seitens Wikipedia warten


 

Das, was jetzt folgt, habe ich nachträglich ergänzt, da es von den zeitlichen Bedingungen her nicht mehr in die Arbeit gepasst hat:

Der Artikel über Gordon Daniely wurde schließlich nach einigen Diskussionen

Wikipedia Diskussion Gordon Daniely November 2015 markiert

von einem Wikipedia-User mit höheren Befugnissen als denen eines Neuanfängers wie mir im April 2016 für tauglich befunden und gesichtet, so dass der Wikipedia-Artikel erschien, wenn man „Gordon Daniely“ googelte. Zum Zeitpunkt der Präsentation meiner Arbeit in der Schule befand sich der Artikel also noch im ungesichteten Zustand, das heißt, ein unangemeldeter Nutzer fand ihn zwar schon durchs Googlen, jedoch wurden die Daten von Wikipedia vom Google-Algorithmus noch nicht verarbeitet. Außerdem war der Artikel bereits über den Link https://de.wikipedia.org/wiki/Gordon_Daniely abrufbar. Der von mir erarbeitete Artikel über Gordon Daniely sah so aus:

Gordon Daniely auf Wikipedia

Wenn man „Gordon Daniely“ nach der Sichtung googelte, bekam man oft eine jener automatisch erzeugten Übersichten, wie man sie bei vielen anderen tatsächlichen Prominenten findet, im Stile dieses Kastens rechts von den Ergebnissen (Anmerkung: Ich benutze Google Chrome als Browser und habe mich nur auf die Darstellung durch die Suchmaschine Google beschränkt). Hier ein Beispiel dieses rechtsseitigen Informationskastens mit dem derzeitigen US-Präsidenten Donald Trump:

Google Übersicht Trump

Leider ist es mir nicht gelungen, einen Screenshot von so einer Übersicht für Gordon Daniely zu machen, lediglich in der ersten Phase, als diese Art der Präsentation mit dem Kasten für den Namen Gordon Daniely noch kein Standard für die Suchmaschine war, habe ich einen Screenshot von den ersten drei Suchergebnissen gemacht:

Gordon Daniely Google

Der Artikel über Gordon Daniely war schließlich ab ca. April 2016 vollständig in die deutsche Wikipedia integriert. In den darauffolgenden 11 Monaten war an dem Artikel über Gordon Daniely vom rein Formalen her nichts auszusetzen – sein Inhalt war nur komplett erfunden, und als Beweis für seine Existenz dienten lediglich der Twitter-Account und sein Blog. Des Weiteren erfand ich einen Buchtitel für ein Buch, das er geschrieben haben sollte, um Gordon Daniely’s Relevanz auf Wikipedia zu verdeutlichen. Obwohl ich gar keine ISBN dafür angegeben hatte, wurde dieser „Fakt“ einfach so übernommen. Außerdem verlinkte ich in dem Wikipedia-Artikel noch zu einem Inhalt aus der Mediathek des ZDF zur Frankfurter Buchmesse 2013 – wo Gordon Daniely aufgetreten sein sollte – durch das fortgeschrittene Datum sollte es dann für Nachprüfer so aussehen, als ob der Inhalt, auf den in der ZDF Mediathek verwiesen wurde, schon verschwunden war, denn da war absolut nichts über Gordon Daniely in der ZDF Mediathek! Weitere Beweise für die Eingliederung des Artikels über Gordon Daniely in der Wikipedia sind die Eintragungen in sämtliche Kategorien- und Listenseiten von Wikipedia, inklusive der Liste der Biografien, von der ich am 30. November 2015 folgenden Screenshot gemacht hatte:

Gordon Daniely glaubwürdig wiki

Dies geschah größtenteils durch Bots und keine menschlichen Nutzer, dennoch ist es bemerkenswert, wie schlicht und einfach die Aktion eines einzelnen, höher privilegierten Nutzers von Wikipedia dafür gesorgt hatte, dass mein Artikel ein Wikipedia-Artikel wurde, der auf den ersten Blick sehr überzeugend gewirkt hat.

Auf Twitter folgte ich mit Gordon Daniely der Glaubwürdigkeit halber allen Accounts, die irgendetwas mit Poetry Slam zu tun hatten. Manche folgten zurück, ein Slampoet antwortete mir sogar auf eine Privatnachricht:

Slammer Reinfall zensiert beste

 

Zumindest schienen manche tatsächlich zu glauben, dass es sich bei Gordon Daniely um einen echten Slampoeten handelte…

Den Blog von Gordon Daniely betrieb ich auch weiterhin nach der Präsentation meiner Jahresarbeit und erstellte im Januar 2016 sogar einen Beitrag, der einen würdigen Abschluss der Beiträge dort präsentieren sollte: https://gordondaniely.wordpress.com/2016/01/30/ein-ende/.

Allerdings konzentrierte ich mich in der Zeit nach der Sichtung des Wikipedia-Artikels im April 2016 vermehrt auf meinen eigenen Blog, indem ich die Beiträge meiner Jahresarbeit nach und nach hier veröffentlichte – sie sollten ja zu diesem würdigen Abschluss, der Enthüllung mit Knalleffekt, dem Wikipedia-Artikel über eine nicht existente Person hinführen, dem Verlauf meiner Arbeit folgend.

Also ließ ich den Blog von Gordon Daniely erst einmal ruhen. Ich twitterte ab und zu unter seinem Namen, aber mehr tat ich nicht. Da ich bemerkt hatte, dass durch die recht große Followerzahl (Maximum waren 8299 Follower am 21.11.2015, siehe folgender Screenshot)…

Gordon Daniely Twitter vom 21. November 2015

…vermutlich mehr echte Personen Gordon Daniely folgten, versuchte ich meine Reichweite dort häufig für das Verbreiten von Petitionen von change.org oder avaaz.org 
zu nutzen, die mir unterstützenswert erschienen. Leider muss ich sagen, dass ich mir trotz der vielen menschlichen Follower dort keine feste Gefolgschaft aufbauen konnte, meine Tweets also eher im Sand verliefen…  Twitter Wem Folgen Vorschläge
Dennoch ist es ein interessantes Phänomen,
dass wegen der hohen Followerzahl des
Accounts von Gordon Daniely vermutlich
mehr Personen auf Twitter vorgeschlagen
wurde, ihm zu folgen. Dies ist dank des
Wem Folgen? – Features auf Twitter möglich.
Dieser Empfehlungsalgorithmus basiert auf vielen einzelnen Faktoren, aber einer davon scheint auf jeden Fall die Followerzahl zu sein, in rechtsseitigem Beispiel sind die Vorschläge sogar der Followerzahl nach von oben nach unten geordnet.
Im Oktober 2016 veröffentlichte ich wieder seit über acht Monaten einen Beitrag auf Gordon Danielys Blog, einfach nur weil ich den Text gern veröffentlichen wollte, und dieser Blog hier mir für fiktive Prosa nicht so gut geeignet schien. Seitdem schreibe ich wieder gelegentlich für Gordon Daniely, und nutze seinen Blog einfach als einen mehr künstlerisch fokussierten Webauftritt von mir selbst.

Die Löschung

Im März/April 2017 schließlich erfolgte die für mich unerwartet schnelle Löschung, nach einer Löschdiskussion (wie sie vor der Löschung eines jeden Artikels auf Wikipedia Standard ist), die mein selbst erdachtes Buch sofort enttarnte und rasch mit dem Ergebnis endete, das der Artikel gelöscht werden sollte, allerdings auf Grund mangelnder Relevanz, nicht etwa weil erkannt wurde, dass es die Person Gordon Daniely gar nicht gibt:
 Wikipedia Löschdiskussion Gordon Daniely März 2017 größer
Da ich zu diesem Zeitpunkt auch noch mitten in den Vorbereitungen für meine bald bevorstehenden Abiturprüfungen steckte, bekam ich die Löschung des Artikels leider erst im Nachhinein mit und konnte den Artikel in der Diskussion nicht verteidigen. Ich erfuhr erst von der Löschung, als ich auf einer Hausparty jemandem diese ganze Geschichte erzählt hatte und als „Beweis“ den Wikipedia-Artikel zeigen wollte und ihn erstmal nicht fand…

Was lässt sich nun als allerletztes Fazit aus der Geschichte ziehen?

Es ist möglich, im Internet eine Person so überzeugend darzustellen, dass selbst die Sichter bei Wikipedia darauf hereinfallen. Vorerst. Allerdings wird sich die Wahrheit irgendwann doch durchsetzen. Vielleicht ist das die tröstliche Moral am Ende dieser langen und verwirrenden Story: Die Wahrheit wird siegen,  nach unbestimmter Zeit.